03.12.2019

La Financiere de L’Echiquier

Cyber-Medizin – Chancen und Grenzen für Künstliche Intelligenz

Rolando Grandi, Echiquier Artificial Intelligence, LFDE

Etwa um das Jahr 2060 plant die französische Vorstandsvorsitzende des digitalen Startups Transparence die Vermarktung von Endless, einem Programmm, das die menschliche „Seele“ – die persönlichen Daten einer Person – in einen künstlichen Empfängerkörper transplantiert. Obwohl diese von Marc Dugain[1] so brillant erdachte Zukunftsvision noch in weiter Ferne liegt, entstehen in der Medizin durch Künstliche Intelligenz (KI) inzwischen dennoch ganz neue Behandlungsmethoden. Angesichts der weltweiten Zunahme der Gesundheitskosten, die bis 2022 auf 10.000 Milliarden US-Dollar steigen dürften[2], sind digitale Anwendungen in der Gesundheitsversorgung überall auf der Welt auf dem Vormarsch. Künstliche Intelligenz gilt als die Hoffnung unserer Zeit, vor allem in der Medizin.

Tatsächlich kann KI ihr Potenzial in vielen Bereichen entfalten: in der Biotechnologie, der Epidemiologie, bei e-Therapien, dem Einsatz von Chirurgie-Robotern und intelligenten Prothesen, in der pharmakologischen Überwachung usw. An allen medizinischen Fronten werden Fortschritte und Durchbrüche erzielt. KI revolutioniert die Effizienz in der medizinischen Forschung und senkt dabei die Kosten. So musste das US-Medtech-Unternehmen ILLUMINA bisher jährlich 1 Million US-Dollar für die DNA-Sequenzierung aufwenden. Im Jahr 2019 waren es nur noch ganze 1.000 US-Dollar. Und in den nächsten 10 Jahren dürften diese Kosten auf 100 US-Dollar sinken. Die Generierung flächendeckender und strukturierter Datenmengen ermöglicht die KI-basierte Entwicklung von Medikamenten und personalisierten Therapien für jeden Patienten.
Die 2019 erfolgte Gründung des europäischen KI-Startup-Inkubators AI Factory for Health durch MICROSOFT und den britisch-schwedischen Pharmakonzern ASTRAZENECA ist äußerst vielversprechend. Betreut werden vor allem Startups, die sich auf Onkologie spezialisiert haben, wie beispielsweise Owkin. Dieses von einem Mathematiker und einem Onkologen gegründete, auf „Machine Learning“ für medizinische Anwendungen spezialisierte Startup mit Sitz in Paris und New York verwendet KI und Big Data, um die Forschung für Krebstherapien zu beschleunigen. Gleichzeitig wird die Vertraulichkeit der Patientendaten dank „transfert learning“ gewahrt. Ein revolutionärer Ansatz für KI, der bereits Früchte trägt: Owkin hat im Oktober eine bahnbrechende Entdeckung im Bereich der Tumorbiologie gemacht.
e-Health: Fit und in Hochform
In China mit seinen 12 Millionen medizinischen Fachkräften für 1,4 Milliarden Einwohner revolutionieren virtuelle Assistenten den Zugang zur medizinischen Versorgung. Gesundheitsplattformen wie WeChat von TENCENT oder Good Doctor von PING AN HEALTHCARE AND TECHNOLOGY – die ihren Umsatz im ersten Halbjahr 2019 verdoppelt haben – sind stark auf dem Vormarsch. Obwohl Europa den Sprung noch nicht gewagt hat: an Gesundheitsapps fehlt es auch hier nicht. Qare (Frankreich) ermöglicht den Zugang zu einer von der Krankenkasse erstatteten Online-Sprechstunde auf dem Smartphone... Die Lösung in der medizinischen Versorgungswüste?
Medizinroboter: die Assistenzärzte der Zukunft
Weitere KI-basierte Anwendungs- und Einsatzmöglichkeiten bietet die Robotik, deren Marktvolumen sich 2019 weltweit auf 6,5 Milliarden US-Dollar belief. Dank der Erfolge der Robotikforschung sind Medizinroboter wahrnehmungs- und entscheidungsfähig, führen präzise Handlungen aus und sind daher aus dem Gesundheitssektor nicht mehr wegzudenken: Pflegeroboter animieren ältere und hilfsbedürftige Heimbewohner zu kognitiven Übungen, intelligente Prothesen reparieren oder optimieren den menschlichen Körper, Medizinroboter verbessern die Fertigkeiten von Chirurgen. Ein Beispiel ist das Da Vinci-Chirurgiesystem von INTUITIVE SURGICAL, das weltweit bereits fünf Millionen Operationen durchgeführt hat. Weitere Beispiele? Ein 5G-gesteuerter Roboterarm hat 2019 für einen chinesischen Chirurgen die erste Gehirnoperation ausgeführt – in 3.000 km Entfernung. Eine Premiere.
Die Anwendungsbereiche für KI sind sehr vielfältig und der Markt boomt. Schätzungen zufolge wird die Bruttowertschöpfung des Gesundheitssektors in den Industrieländern 2035 ganze 2.260 Milliarden US-Dollar betragen und nach Berücksichtigung des KI-Beitrags sogar 2.721 Milliarden US-Dollar[3]. Das ist mehr als das BIP von Frankreich.
 
[1] Transparence, M. Dugain, Gallimard, 2019
[2] 2019 Global health care outlook, Global Healthcare sector issues in 2019, Deloitte
[3] How AI boosts Profits and Innovation, Accenture & Frontier Economics, 2017

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