07/06/2022

ODDO BHF Asset Management

Bulle und Bär - die Rezession ist nicht an allem Schuld

Für Laurent Denize, Global CIO von ODDO BHF Asset Management, ist es noch zu früh, größere Positionen an den europäischen Aktienmärkten einzugehen. Aber es bieten sich punktuelle Anlagechancen. 

Nach vier für die Nerven der Anleger ausge­sprochen zermürbenden Monaten ist der Markt in eine horizontale Konsolidierungsphase mit weiter­hin sehr hoher Volatilität eingetreten. Der europä­ische Aktienmarkt weist ein 12-Monats-KGV von 12,7 auf, was einen Abschlag von 13% gegenüber seinem 10-Jahresdurchschnitt (14,5x) bedeutet. Die jüngste Neubewertung (KGV-Rückgang) zeigt, dass die Märkte den Anstieg der Anleiherenditen sowie die massive Kapitalflucht wegen des Ukraine-Kriegs eingepreist haben. Trotz eines Bullenmarkts für die Unternehmensgewinne haben wir einen Bärenmarkt für die Aktienkurse. Aber der Markt ist zurzeit ausgesprochen widersprüch­lich, worauf wir später noch zurückkommen werden.
Welche Katalysatoren sind erforderlich, um den Risikoappetit der Anleger wieder zu wecken?
Jegliche Deeskalation im Krieg zwischen Russland und der Ukraine könnte europäische Aktien für die Anleger wieder interessant machen. Anstatt mehr oder weniger realistische Szenarien für die Ent­wicklung des Konflikts zu skizzieren, wollen wir uns hier auf die drei wichtigsten Katalysatoren konzentrieren, die die Märkte beflügeln könnten.
1.Ein deutlicher Rückgang der Inflation, der eine weniger restriktive Geldpolitik der Zentral­banken zur Folge hätte. Dieser Katalysator erscheint offensichtlich, denn die Märkte litten zuletzt unter der Straffung der Finanzierungs­bedingungen.
2.Eine Erholung der chinesischen Konjunktur aufgrund der Wiederöffnung der Wirtschaft und umfassender fiskalpolitischer Impulse. Die Gewinne der europäischen Unternehmen sind in der Tat stark vom chinesischen Wachstum abhängig, und zwar sowohl direkt über ihren Absatz in China als auch indirekt über die Lieferketten. Dementsprechend ist die schritt­weise Beendigung des Lockdowns in Schanghai eine gute Nachricht. Auch die jüngsten Infras­truktur­ausgaben dürften die chinesische Konjunktur und damit auch die Nachfrage nach europäischen Produkten stützen.
3.Stabile Gewinnmargen trotz düsterer Prognosen. Konsensprognosen zufolge werden die europäischen Unternehmen dieses Jahr ihren Gewinn je Aktie um durchschnittlich 13% bzw. (bei Ausklammerung rohstoffnaher Branchen) um 7,6% steigern. Somit sind die Markterwartungen deutlich optimistischer als noch zu Jahresbeginn, als mit einem Anstieg um lediglich 7% gerechnet wurde. Die jüngste wirtschaftliche Entwicklung und insbesondere der Übergang zu einer weniger lockeren 
Geld­politik veranlassen uns jedoch zu einer gewissen Skepsis. Sollte die europäische Konjunktur nicht in eine schwere Rezession geraten, besteht zwar die Chance, dass die erwartete Welle der Herabstufungen ausbleibt, da der Rückgang der Margen teilweise durch höhere Einnahmen kompensiert werden könnte.
Doch auch wenn die bewertungsbedingten Kurs­verluste wahrscheinlich hinter uns liegen (wir sind nahe dem Inflationshöhepunkt), besteht nun umso mehr die Gefahr von Gewinnrückgängen als Aus­löser fallender Kurse. Je schneller die Inflation wieder zurückgeht, desto deutlicher werden sich die Bewertungen dank der rückläufigen Zinsen wieder erholen. Sollte die Inflation jedoch mit einer Rezession einhergehen, wird dies die Gewinne stark belasten und den positiven Zinseffekt mehr als ausgleichen.
Die Rezession ist nicht an allem schuld
Zurzeit besteht immer noch kein Konsens darüber, ob sich die Weltwirtschaft in einer Rezession befindet. Es braucht allerdings nicht zwingend eine Rezession, damit die Gewinne der Unternehmen zurückgehen.
Dies hängt mit dem Konzept des operativen Hebels zusammen. Zwar unterliegen die Umsätze starken Schwankungen, aber die Kosten – die vor allem durch das Lohnniveau bestimmt werden – sind fix und passen sich nur sehr viel langsamer an. Wenn die Umsätze schneller als die Kosten steigen, ist der Hebeleffekt auf die Gewinne noch stärker. Das ist die Magie des operativen Hebels, die sich jedoch – bei entgegengesetzter Entwicklung (stärkerer Anstieg der Kosten als der Gewinne) – schnell in einen Alptraum verwandelt. Wir empfehlen daher, bis auf Weiteres die Gewichtung der zyklischeren Unternehmen zu begrenzen, mit Ausnahme von Dienstleistungsanbietern, die von der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Omikron-Welle profitieren.
Es ist noch zu früh, größere Positionen an den europäischen Aktienmärkten einzugehen
Europa befindet sich bereits in einer Stagnation und wird in den kommenden Quartalen am Rande einer Rezession stehen. Steigende Input-Kosten und der wahrscheinliche Anstieg der Löhne zeigen, dass die Margen bereits unter Druck geraten sind. Bislang haben die in den Indizes stark vertretenen Export­unternehmen von günstigen Währungs­effekten profitiert und konnten so die Auswirkungen der Margenverengung abfedern, sodass bislang kaum pessimistische Äußerungen aus den Vorstands-etagen zu vernehmen waren. Dies kann sich aber jederzeit ändern, denn sobald die Zinssätze  in den positiven Bereich zurückkehren, ist mit einer Aufwertung des Euro zu rechnen. Daher sind die Bewertungen alleine kein ausreichendes Signal, um eine wesentliche Neupositionierung an den europäischen Aktienmärkten zu rechtfertigen. In der Tat sollten mindestens zwei unserer drei Kriterien erfüllt sein.  Dies ist jedoch nicht der Fall.
Dagegen haben wir bereits in der letzten Ausgabe den Kauf von chinesischen Aktien empfohlen. Auch wenn sich diese Empfehlung als etwas verfrüht herausgestellt hat, halten wir weiterhin an ihr fest. Im Berichtsmonat legte der MSCI CHINA um 6,85% zu. Wir halten einen Ausbau der Positionen in China für sinnvoll, denn mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10,4 wurde der chinesische Markt selten mit einem derartigen Abschlag gegenüber den Industrieländern gehandelt. Zudem dürfte er in den kommenden Wochen von der Wiederöffnung der Wirtschaft profitieren. Die drei Kriterien sind somit erfüllt, falls die Geldpolitik der chinesischen Notenbank die Unternehmen stützt und vor allem das Immobiliensegment, das sich seit einem Jahr in schwierigem Fahrwasser bewegt.
An den Anleihemärkten ist (wie erwartet) beim Zinsanstieg eine Pause zu beobachten, die wir nutzen wollen, um weniger liquide Assets zu verkaufen. Das Hochzinssegment bietet immer noch kein attraktives Risiko-/Renditeprofil. Ein Einstieg würde sich erst bei Eintritt des Rezessionsszenarios lohnen.
Und was ist, wenn es zu keiner Rezession kommt und den Zentralbanken eine weiche Landung der Konjunktur gelingt? In diesem Fall hätten wir ein starkes Kaufsignal, vor allem bei Aktien. Bis dahin bleiben wir leicht untergewichtet, da nach unserer Auffassung die Analysten zurzeit die Auswirkungen der Konjunkturabkühlung auf die Gewinne unterschätzen. Zudem sind wir überzeugt von der Entschlossenheit der Notenbanken, die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Die für unsere Allokation bestimmenden Faktoren bleiben aber die Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen und der kräftige Abzug von Liquidität aus den Märkten.
Nach dem Rückgang zu Beginn des Jahres bieten sich jedoch mittlerweile einige punktuelle Anlagechancen. In unserem letzten Editorial haben wir bereits bestimmte US-Technologiewerte erwähnt. Mittlerweile haben wir unserem Portfolio zur Diversifikation auch noch mehrere chinesische Titel beigemischt. Das Jahr ist noch lange nicht vorbei ...

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Nach dem Rückgang zu Beginn des Jahres bieten sich mittlerweile einige punktuelle Anlagechancen.

Laurent Denize, Global CIO ODDO BHF Asset Management

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