Bei der Vermögensallokation besteht unsere Aufgabe darin, Anlageentscheidungen auf der Grundlage des makroökonomischen Umfelds, mikroöko-nomischer Daten und des so genannten „Momentums“ zu treffen, das verschiedene Da-tenpunkte umfasst, wie z. B. Investitionsströme, alternative Daten, technische Analysen, Positionierungen, Stimmungsindikatoren.
Das Glas ist halb leer
Um es vorwegzunehmen: Wir haben Position bezogen, und aus unserer Sicht ist das Glas eher halbleer. In China ist das Wirtschaftswachstum mit etwa 5 % relativ niedrig, in den USA liegt es unter 2 %, und in Europa beginnt sich eine Kontraktion abzuzeichnen. Ein Rückgang des globalen Konjunkturwachstums unter die Schwelle von 2 % – ein klassisches Rezessions-szenario – ist daher möglich. So weit
ist es noch nicht, aber die Fortschreibung der
aktuellen Entwicklung verheißt mit einem Wachstum von unter 3 % im dritten Quartal nichts Gutes.
In der Vergangenheit lösten vor allem steigende Arbeitslosenzahlen eine Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit aus. Diese Entwicklung zeigt sich in den Industrieländern bisher zwar noch nicht, aber ein Blick auf die 11,6 Millionen neuen Hochschulabsolventen in China genügt, um das sich abzeichnende Problem zu erkennen. Im April erreichten die Arbeitslosenzahlen unter jungen Chinesen (16 bis 24 Jahre) mit 20,4 % einen Rekordstand und waren fast doppelt so hoch wie vor der Pandemie (12 %). Der in diesem Sommer erfolgende Eintritt von Millionen junger Menschen des Abschlussjahrgangs 2023 in den Arbeitsmarkt wird die Situation noch verschärfen und könnte den von der Regierung gepriesenen „Sozialpakt“ gefährden. Aber nicht nur in China hängen dunkle Wolken über dem Arbeitsmarkt. In Deutschland beispielsweise stieg parallel zur Kontraktion der Wirtschaft auch die Arbeitslosenquote um 0,7 %.
Worauf sollte man achten?
Sollte sich die Weltwirtschaft am Beginn einer klassischen Rezession befinden, wären die folgenden Entwicklungen zu erwarten:
- Preisrückgang bei Erdöl und Metallen: dies ist bereits der Fall.
- Trendlose Phase bei Hochzinsanleihen: dies ist bereits der Fall.
- Underperformance der zyklischen Sektoren: dies ist bereits der Fall.
- Globaler Abwärtstrend der Aktienindizes: dies ist nicht der Fall.
Eine mögliche Erklärung für den globalen Anstieg der Aktienindizes ist die spektakuläre Performance der „Glorreichen 7“: Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Nvidia, Meta und Tesla, deren Marktkapitalisierung heute zusammen 11 Billionen US-Dollar beträgt. Die Outperformance der sieben Tech-Riesen könnte zwar noch eine Weile anhalten, aber selbst der Technologiesektor ist nicht immun gegen eine Rezession und erst recht nicht gegen steigende Zinsen. Darüber hinaus kündigte die Nasdaq eine Neugewichtung an, um die Konzentration der MegaCaps im Nasdaq100 zu verringern. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich die Kurse dieser Aktien bis zur Neugewichtung am 24. Juli entwickeln werden und ob andere Indexanbieter diesem Beispiel folgen werden. Dieser Schritt erinnert an die Begrenzung der DAX-Gewichtung der Telekom-Aktie im Jahr 2000…
Bisher kommen die Signale für eine Verlangsamung der globalen Konjunktur hauptsächlich aus China und zeigen sich an überdurchschnittlichen Preisrückgängen bei Metallen und Industrierohstoffen. In den kommenden Monaten wird die Schwächung jedoch nicht mehr von China ausgehen, sondern von den Industrieländern. Die Wachstumskrise in China wird allmählich so besorgniserregend, dass die chinesische Regierung mit starken Unterstützungsmaßnahmen eingreifen dürfte, um die von ihr ausgegebene Wachstumsuntergrenze von 5 % zu erreichen.
Umgekehrt könnte der Dogmatismus der
Notenbanken bei der Bekämpfung einer Inflation, die von ihnen lange Zeit unterschätzt wurde, die Industrieländer in eine leichte Rezession stürzen.
Wie also die Asset Allocation ausrichten?
Die Folgen dieses Paradigmenwechsels sind für Ihre Vermögensallokation in der Zukunft von großer Bedeutung.
Unsere Überzeugungen für diesen Sommer:
1.Wir empfehlen angesichts der restriktiveren Kreditbedingungen und ihren negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in den Industrieländern (Europa und USA) eine leichte Untergewichtung im Aktienbereich. Angesichts rückläufiger Einkaufsmanager-indizes (PMI) wird ein Konjunkturabschwung wahrscheinlicher. In diesem Zusammenhang bevorzugen wir eine Umschichtung aus über-bewerteten Aktien in Value-Titel, die relativ solide Fundamentaldaten und Wachstums-aussichten aufweisen. Angesichts der attraktiven Bewertungen und der erwarteten Wachstumsbeschleunigung gewichten wir die Schwellenländer und insbesondere China stärker.
2.Einige Unternehmen könnten unter Margendruck geraten, da sich Preis-erhöhungen in einem Umfeld schwächerer Nachfrage nur begrenzt durchsetzen lassen, während die Fixkosten und insbesondere die Lohnkosten weiter stark steigen. Vor diesem Hintergrund genießt der Luxussektor nach wie vor eine privilegierte Position.
3.Das Kreditrisiko gibt weiterhin Anlass zur Vorsicht, insbesondere bei stark ver-schuldeten Unternehmen, denn ein Risiko in Bezug auf finanzielle Stabilität führt zu restriktiveren Kreditkonditionen. Den überschuldeten Immobiliensektor sehen wir weiterhin mit großem Vorbehalt. Nur Anleihen mit kurzer Duration (max. Laufzeit 5 Jahre) bieten ein attraktives Risiko-Rendite-Verhältnis mit angemessenem Carry.
4.Eine möglicher Rückgang der Liquidität am Markt sollte genau im Blick behalten werden, da die Notenbanken ihre Bilanzen verkürzen und die für die kommenden Monate erwarteten Emissionen des US-Schatzamtes absorbiert werden müssen. Wir nehmen Gewinne bei Anleihen aus Peripherieländern mit und erhöhen dort unsere Untergewichtung.
5.Das Risiko geldpolitischer Fehlent-scheidungen ist gestiegen. Finanzsystem und Wirtschaft sind fragil. Darüber hinaus wird für die Notenbanken vor dem Hintergrund einer beschleunigten Transmission der Geldpolitik zunehmend schwerer, Preis- und Finanzmarktstabilität auszutarieren. Die Duration der Portfolios sollte erhöht werden. Unsere Präferenz gilt deutschen und US-Anleihen mit Laufzeiten von 5–7 Jahren. Noch ist es zu früh für eine stärkere Versteilung der Zinskurven.
Fazit
Die gleichzeitigen Angebots- und Nachfrage-schocks der letzten Jahre haben in der Vergangenheit beobachtbare Korrelationen zwischen Wachstum, Arbeitslosigkeit und Inflation vorübergehend außer Kraft gesetzt, was es schwierig macht, die Entwicklung von Konjunktur und Unternehmensdaten richtig einzuschätzen. Derzeit zeigen unsere Gespräche mit Unternehmenschefs eine nach wie vor optimistische Einschätzung, die wenig im Einklang mit der jüngsten Verschlechterung der makroökonomischen Indikatoren steht. Die bevorstehende Berichtssaison wird uns erste Hinweise auf den Trend bei Margen und Gewinnen pro Aktie geben und den beginnenden Normalisierungsprozess bestätigen oder in Frage stellen.